Orte der Erinnerung

Das Projekt des Fördervereins Erinnerungsorte Kinderheim Köln-Sülz e.V. (FEKS)

Gründung des Fördervereins 2013
Anlässlich der Eröffnung des Neubaus der Kinder- und Jugendpädagogischen Einrichtung der Stadt Köln ( KidS) am Aachener Weiher trafen sich im Sommer 2013 ehemalige Bewohner des alten Kinderheims in Köln-Sülz und deren frühere Betreuer mit Bewohnern des in Sülz entstehenden neuen Wohnquartiers. Auf Anregung von KidS gründeten Alt- und Neubewohner im Herbst desselben Jahres gemeinsam den „Förderverein Erinnerungsorte Kinderheim Köln-Sülz e.V.“ (FEKS). Zum ersten Vorsitzenden des neuen Vereins wählte die Gründungsversammlung den Sülzer Architekten Harald Weiß.

Ziel des Vereins ist laut Satzung, Kunst und Kultur im Stadtbereich von Köln-Sülz „durch Konzipierung und Herstellung von Erinnerungsorten bzw. Denkmalen zu fördern, die an die ehemalige Kinderheim-Anlage in Köln-Sülz und ihre stadtkulturelle Bedeutung erinnern“. Im Jahr 2014 wurde der Förderverein vom Finanzamt Köln als gemeinnützig anerkannt.

Bereits vor der Gründung des FEKS hatten ehemalige Heimbewohner in 2009 ein Diskussionsforum im Internet eröffnet, um sich über ihre Zeit und ihre Erlebnisse im Kinderheim auszutauschen. Das Forum wurde im Laufe der Zeit von Ehemaligen zu “Digitalen Erinnerungsorten” für Ehemalige und alle an der Kinderheimgeschichte interessierte Kölner weiterentwickelt.

Das Projekt Erinnerungsorte
Der Förderverein beteiligte von Beginn an Neubewohner, alteingesessene Sülzer, engagierte Menschen aus anderen Bereichen und ehemalige Kinderheimbewohner/innen an der Projektarbeit. Einige der „Ehemaligen“, die sich an den Diskussionen zur Schaffung der Erinnerungsorte beteiligten, waren von ihren Heimerfahrungen deutlich traumatisiert und näherten sich nur sehr vorsichtig der Idee der Erinnerungsorte. Für andere „Ehemalige“ bedeutete ihr Aufwachsen im Kinderheim Schutz vor ungünstigen familiären Erfahrungen.

Kurz vor dem Abriss des Ursula-Hauses – eines der früheren Kinderheimgebäude – sprühte ein ehemaliger Bewohner des alten Sülzer Kinderheims mit roter Farbe einen Spruch an die Außenwand: „1914 – 2009. Segen und Fluch. Meinen Dank den Aufrichtigen, den Schützenden und den Liebenden! Den anderen das Jüngste Gericht und die Gnade der Gedemütigten und Zerbrochenen. Für uns selbst Mut und Frieden.“

Dieser Wandspruch erfasst die unterschiedlichen Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen, die einen Teil ihres Lebens in dem alten Kinderheim in Sülz verbrachten. Die Emotionalität dieser Aussagen traf viele Bewohner der neuen Häuser mitten ins Herz. Von Beginn war allen Beteiligten klar, dass dieser Wandspruch ein Teil der „Erinnerungsorte“ sein müsse.

Bremer Stadtmusikanten“ im Jahr 2006 (Foto: Monika Huth)

Aus dem Abriss heraus stellten sie „Fundstücke“ aus dem alten Kinderheim sicher, die zur Gestaltung der Erinnerungsorte beitragen sollen. Ein Fundstück ist die Bronzeskulptur “Bremer Stadtmusikanten” des Bildhauers Fritz Bernuth (* 19. Januar 1904 in Elberfeld; † 22. Mai 1979 in Wuppertal), ein deutscher Bildhauer und Porzellandesigner.

Seit September 2020 stehen die “Bremer Stadtmusikanten” wieder auf dem Gelände zwischen Sülzgürtel und früherer Kinderheimkirche – als Symbol für soziales Verhalten frei nach dem Spruch „Einigkeit macht stark!“ wie sich der ehemalige Direktor des Kinderheims Josef Abeln lange Jahre nach seiner Pensionierung in seinen Aufzeichnungen erinnert hat …

 

Semesterprojekt der Alanus Hochschule für Kunst und Gestaltung im ehemaligen Kinderheim ab Frühjahr 2015

Im Verlauf seiner Arbeit erkannte der Förderverein, dass das Engagement der Mitglieder nicht das fehlende Fachwissen zur Entwicklung von Kunstprojekten im öffentlichen Raum ersetzen kann. Mit Unterstützung der Bezirksvertretung Lindenthal, der Wohnungsgenossenschaft Köln-Sülz eG und der Rudolf Klefisch Stiftung suchte der Förderverein nach Partnern zur Inspiration und Kooperation. Schließlich konnte die Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft (Alfter/Bonn) für ein interdisziplinäres Semesterprojekt gewonnen werden.

Studierende der Alanus Hochschule und der Hochschule der Bildenden Künste (Saarbrücken) bezogen von April bis Juni 2015 das alte Verwaltungs- und Aufnahmegebäude des früheren Kinderheims, beschäftigten sich mit methodischen Herangehensweisen zum Thema Erinnerung, entwickelten hierzu gestalterische Konzepte und zeigten ihre künstlerischen Positionen schließlich in einer Ausstellung im Juni 2015 mit über 50 Exponaten. Die Ideen und Arbeiten der Alanus-Studenten gaben dem FEKS und der Bezirksvertretung Lindenthal neuen Mut zur Weiterverfolgung des Projekts Erinnerungsorte.

Wettbewerb zur Realisierung der “Erinnerungsorte” in 2017
Nach dieser positiven Erfahrung stand für den FEKS fest, dass für die Erarbeitung realisierbarer Konzepte die Mitwirkung von Künstlern und Planern mit Erfahrungen in der Entwicklung, Planung und Kalkulation von Kunstprojekten im öffentlichen Raum benötigt wurde. Nachdem der Verein die dafür erforderlichen Mittel eingeworben hatte, konnte er im September 2016 einen Wettbewerb ausschreiben, den Anja Ohliger und Ulrich Beckefeld, Mitglieder des Künstlernetzwerks „office for subversive architecture“ (‘osa‘), gewannen. Kay von Keitz, freier Kurator und Vorsitzender des Kunstbeirats der Stadt Köln, beriet den FEKS bei diesem Verfahren und konzipierte und begleitete den Einladungswettbewerb mit insgesamt vier eingereichten Entwürfen.

Die Künstler der Gemeinschaft ‚osa‘ überzeugten die Jury mit ihrer Idee von drei großen Findlingen für den zentralen Platz des Neubauquartiers. Entscheidend war für das Gremium u.a.: „Die Platzierung von drei mit Textgravuren versehenen Findlingen – die für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stehen – … entwickelt eine starke skulpturale Kraft und Präsenz, kann aber zugleich als Naturform von großer Selbstverständlichkeit erlebt werden.“ – Mitglieder der Jury waren u.a. Helga Blömer-Frerker, Bezirksbürgermeisterin Köln-Lindenthal, Klaus Grube, ehemaliger Heimbewohner und Mitglied im FEKS, sowie Jürgen Haas, Direktor der Kinder- und Jugendpädagogischen Einrichtung der Stadt Köln (KidS).


Das künstlerische Konzept sah vor, dass die Textgravuren für die Steine unter Beteiligung ehemaliger und heutiger Bewohner in einem gemeinsamen Prozess mit den Künstlern erarbeitet werden. Die „Sülzer Findlinge“ wurden im April 2018 gesetzt und erhielten im Sommer 2019 die Widmungen:

Findling mit der Inschrift – für alle Kinder, die heute hier leben
– für alle Kinder, die früher hier lebten
– für alle Kinder, die heute hier leben
– für alle Kinder, die zukünftig hier leben werden
 
von rechts: Bezirksbürgermeisterin Helga Blömer-Frerker und Peter Halberkann, Vorstand FEKS, verlegen die „Zeitzeugenkapsel“ mit Erinnerungstexten und -Stücken Ehemaliger im Boden.

 

Ankunft der „Sülzer Findlinge“
Am 20. April 2018 konnten Bezirksbürgermeisterin Helga Blömer-Frerker, der Förderverein FEKS e.V., die Künstler der Künstlergemeinschaft ‚osa‘, die Sülzer Nachbarn und Bürger die Ankunft der “Sülzer Findlinge” begrüßen, die aus dem Bayrischen Wald nach Köln verbracht wurden.

Als einer der Vertreter ehemaliger Kinderheimbewohner legte Peter Halberkann, der von 1961 bis 1966 im Heim gelebt hatte, eine verrostete Schere mit der Kopie eines Briefes des früheren Oberstadtdirektors Heinz Mohnen in eine Zeitzeugenkapsel und vergrub sie gemeinsam mit Bezirksbürgermeisterin Helga Blömer-Frerker im Boden, bevor der Stein, der die Vergangenheit symbolisiert, von einem Kran herab gelassen wurde.

In seiner Ansprache bei der Steinlegung erläuterte er den Hintergrund der Aktion: „Die Schere symbolisiert die Gewalt, die ich hier erlebt habe. Eine der Nonnen, die uns unterrichtete, hatte sie immer in der Hand. Eines Abends hackte sie damit aus Wut über meinen Bruder auf sein Buch ein. Glücklicherweise traf sie nicht seine Hand.“ Eine Beschwerde seiner Mutter über den Vorfall wiegelte Heinz Mohnen als Chef der Kölner Verwaltung mit der Beurteilung ab, dass Kinder grundsätzlich nicht glaubwürdig seien.

Monika Huth sprach für die „Ehemaligen“, die eine gute Zeit im Kinderheim in Sülz hatten. Sie erklärte, dass „gut“ für sie bedeutet, dass sie von Menschen umgeben war, die sie beschützten, unterstützten, lenkten und von denen sie sich geliebt fühlte. Monika Huth: „Dieses Heim war mein Zuhause.“


In seiner Ansprache hatte Peter Halberkann für die Ehemaligen auch gefordert, dass der zentrale Platz des alten Kinderheims den Kindern gewidmet wird. Peter Halberkann: „Damit von diesem Platz hier ein positiver und starker Impuls für die Gegenwart und die Zukunft ausgeht, bin ich persönlich dafür, dass dieser Ort „Platz der Kinderrechte“ genannt wird.“

Stolpersteine für Roma- und Sinti-Kinder
Zur „Erinnerungsarbeit“ des FEKS gehört auch die Neuverlegung von drei Stolpersteine für Roma- und Sinti-Kinder, die vom Kinderheim in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet wurden.

Ilga Grünholz, geboren 1939, wurde nach den Akten der früheren Kriminalpolizeileitstelle Köln vom Kinderheim selbst an die Polizei im Januar 1943 „verraten“. Aus dem Heim heraus wurde der Polizei gemeldet, dass bei ihnen ein „Zigeunerkind“ lebt. Die Deportation erfolgte am 3. März 1943.

Während der Abrissarbeiten hatten Vorstandsmitglieder des FEKS bemerkt, dass die alten Stolpersteine in den Bauarbeiten untergehen würden, und nahmen sie an sich. Der Vorstand erreichte nach Beendigung der Neubauten, dass die Stolpersteine am 26. September 2019 vom Künstler Gunter Demnig neu verlegt wurden.

von links: Dr. Utz Küpper, Vorstand FEKS, und Oberbürgermeisterin Henriette Reker

Die Stadt Köln stellte anerkennend fest, dass es dem Förderverein Erinnerungsorte Kinderheim Köln-Sülz zu verdanken ist, dass die Steine gerettet wurden. Das NS Dokumentationszentrum hat zu den drei Kindern recherchiert und die Steine neu beschriften lassen. Die Patenschaft für die neuen Steine hat die evangelische Kirchengemeinde Sülz-Klettenberg übernommen.

In einer Gedenkstunde mit Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die vom Rom e.V. organisiert wurde, erinnerte Dr. Küpper daran: „Heute gedenken wir besonders der verschleppten und ermordeten Sinti- und Roma-Kinder und der Schuld, die unser Volk und unsere Stadt auf sich geladen haben, indem sie die ihnen anvertrauten Kinder nicht geschützt haben.“ Der Förderverein sei froh, dass er einen Beitrag zur Erhaltung dieses Erinnerungsortes am Kinderheim in Sülz leisten konnte.

Die Aktuelle Entwicklung und ein Blick in die Zukunft
Im Verlauf des Projektes knüpfte der FEKS auch Kontakte zum KinderRechteForum (KRF), einer gemeinnützigen Gesellschaft, die sich für die Umsetzung der Kinderrechte in Köln engagiert. Im Herbst 2018 organisierte das KRF in Kooperation mit dem FEKS das erste „Fest der Kinderrechte“ auf dem alten Heimgelände. Im August 2019 folgte hier bereits das zweite Kinderrechtefest. Bei diesem Anlass weihte Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes eine Teilfläche des Geländes als “Platz der Kinderrechte” ein. Seit Ende 2019 hat das KRF seinen Sitz im alten Elisabeth Haus in Sülz.

Nach einem Beschluss der Bezirksvertretung Lindenthal im Jahr 2011 war ein Teil des alten Heimgeländes nach dem ehemaligen Kölner Oberstadtdirektor Prof. Dr. Mohnen in „Heinz-Mohnen-Platz“ benannt worden. Im Juni 2019 wurde das NS-DOK mit einer Recherche zur Biographie von Prof. Dr. Mohnen während der NS-Zeit beauftragt und kam zum Ergebnis, dass sich der frühere Oberstadtdirektor im Dritten Reich aktiv in den Dienst des NS-Regimes gestellt hat. Auf dieser Grundlage empfahl die Verwaltung der Bezirksvertretung Lindenthal, den Heinz-Mohnen-Platz umzubenennen. Die Bezirksvertretung Lindenthal hat am 31. August 2020 einstimmig beschlossen, dass das Areal in „Platz der Kinderrechte“ umbenannt wird. Die Bezirksvertretung betonte dazu, dass ausschlaggebend für ihren Beschluss die Argumentation der ehemaligen Kinderheimbewohner war.

Unser Dank an die Förderer und Finanziers
Für die „Erinnerungsorte“ konnte der Förderverein zahlreiche Spender und Förderer gewinnen. Den Erfolg des Projektes verdankt der FEKS e.V. der Unterstützung privater und öffentlicher Spender, dem Engagement von Stadt- und Bezirkspolitikern, sowie dem Einsatz der Vereinsmitglieder.

Der Hauptanteil der finanziellen Förderung kam auf Vorschlag der Stadt Köln im Rahmen der Regionalen Kulturförderung vom Landschaftsverband Rheinland (LVR). Einen wesentlichen Meilenstein für die Absicherung der Finanzierung leistete KidS im Mai 2017 mit seiner Veranstaltung zur „100-Jahrfeier“, auf der die Stadt Köln zusagte, die noch bestehende Finanzierungslücke zu schließen. Damit konnten die „Erinnerungsorte“, deren zentraler Bestandteil das osa-Projekt auf dem Quartiersplatz ist, realisiert werden. Die „Erinnerungsorte Kinderheim Köln-Sülz“ werden im Herbst 2020 fertiggestellt und von der Stadt Köln laut Ratsbeschluss vom 14. November 2017 übernommen.