Freistatt ein Film von ein Film von Marc Brummund
mit Louis Hofmann, Alexander Held, Max Riemelt, Katharina Lorenz, Stephan Grossmann,
Uwe Bohm u.a.
Deutschland 2015, 104 Minuten, deutsche Originalfassung Kinostart 25.06.2015
Sommer 1968. Der Wind der Veränderung ist in den norddeutschen Kleinstädten allerhöchstens als Brise zu spüren. Mit selbstverständlicher Aufmüpfigkeit begegnet der 14-jährige Wolfgang seinem Alltag, seiner Mutter und vor allem seinem Stiefvater. Als er von seiner Familie in die abgelegene kirchliche Fürsorgenanstalt FREISTATT abgeschoben wird, findet er sich in einer Welt wieder, der er nur mit noch unbändigerem Freiheitsdrang begegnen kann: Verschlossene Türen, vergitterte Fenster, militärischer Drill während der als Erziehung verbrämten täglichen Arbeitseinsätze in den Mooren der Umgebung. Doch für Wolfgang ist eins klar: Seine Sehnsucht nach Freiheit wird er so schnell nicht im Moor begraben.
Frühsorgeerziehung im Nachkriegsdeutschland,
Beispiel Freistatt
“Wenn du nicht brav bist, kommst du ins Heim!”
Ihr Schicksal wurde bis vor kurzem wenig thematisiert: In den 1950er und 1960er Jahren wurden über eine halbe Million Kinder und Jugendliche in kirchlichen und staatlichen Heimen der Bundesrepublik oft seelisch und körperlich schwer misshandelt und als billige Arbeitskräfte ausgebeutet. Viele leiden noch heute unter dem Erlebten, verschweigen diesen Teil ihres Lebens aber aus Scham, selbst gegenüber Angehörigen. Manchmal genügte den Ämtern der Hinweis der Nachbarn auf angeblich unsittlichen Lebenswandel, Nichtigkeiten wie “Arbeitsbummelei”, Schulschwänzen oder auch die reine Willkür der Eltern, um junge Menschen für Jahre in Heimen verschwinden zu lassen. In diesen Institutionen regierten gar nicht oder nur unzureichend ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher, die oft einem Orden angehörten und als Verfechter christlicher Werte auftraten, mit aller Härte. Den Jugendlichen wurden keine oder nur mangelhafte Ausbildungsmöglichkeiten ermöglicht. Nur wenig von dem, was im Inneren der angeblichen Erziehungsheimen stattfand drang damals nach außen. Die “Heimkampagne”, ausgelöst von Andreas Baader und Ulrike Meinhof, und die Proteste der 68er brachten nur allmählich einen Wandel. Der “Runde Tisch Heimerziehung” des Deutschen Bundestages verabschiedete erst Ende 2010 eine kaum befriedigende und sich nun hinschleppende Entschädigung der Betroffenen.
Die Diakonie Freistatt im Kreis Diepholz, Niedersachsen, galt bis in die 1970er Jahre als eine der härtesten Einrichtungen der Jugendfürsorgeerziehung und Endstation vieler Heimkarrieren. Als Außenstelle der in Nordrhein-Westfalen gegründeten und ansässigen von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel war sie, weit abgeschieden und umgeben vom norddeutschen Moor, mit Presstorfproduktion, Schlossereien und Schmieden als reiner Wirtschaftsbetrieb konzipiert, der die billigen Arbeitskräfte brutal ausnutzte. Die im damaligen Freistatt erlittenen Schicksale sind in ihrer Drastik exemplarisch für das Unrecht, das jungen Menschen überall in solchen Heimen in der Bundesrepublik angetan wurde und das sie im Namen von Kirche und Staat kollektiv meist fürs ganze Leben gebrochen und verroht hat.
Freistatt ist heute eine der wenigen offenen Anstalten. Man gibt zu, dass hier im Namen der Kirche unsägliche Dinge geschehen sind. Ehemalige dürfen ihre alten Akten sehen, und die Heimleitung stellt Bescheinigungen aus, auf denen steht, dass die damalige Arbeit nach heutigen Maßstäben sozialversicherungspflichtig gewesen wäre. Neben dem initiierenden Sachbuch von Peter Wensierski “Schläge im Namen des Herrn” (2006) war speziell die von den von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel selbst in Auftrag gegebene Studie “Endstation Freistatt” von 2009, über die Fürsorgeerziehung bis in die 1970er Jahre, Auslöser für diesen Film. Sein wichtigster Bezug aber ist die von Marc Brummund in vielstündigen Gesprächen aufgezeichnete Geschichte von Wolfgang Rosenkötter, einst Zögling und nun Ombudsmann in Freistatt, die neben weiteren Schilderungen von Erziehern und Betroffenen, auch in anderen Heimen, das Drehbuch von Nicole Armbruster und Marc Brummund mit persönlicher Erfahrung grundierte.
Die Leitung der Diakonie Freistatt hat das Projekt von Beginn an unterstützt und, quasi exklusiv, die Dreharbeiten an den noch weitgehend existierenden Originalschauplätzen ermöglicht.
Quelle:http://www.freistatt-film.de/
Ein muss sich den Film anzusehen