Helmut J. Kirfel spricht über eine religiöse Gemeinschaft zwischen Anpassung und Widerstand
Kall-Steinfeld
„Kloster Steinfeld in der Zeit des Nationalsozialismus – Eine religiöse Gemeinschaft zwischen Anpassung und Widerstand“. Diesem Thema widmet sich Helmut J. Kirfel aus Steinfeld, der viele Jahre stellvertretender Leiter des Hermann-Josef-Kollegs und danach bis zu seinem Ruhestand Leiter des Pallotti-Kollegs Rheinbach war. Ergebnisse seiner Recherchen stellt er am Freitag, 19. Januar, in einem Vortrag vor.
Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Haltungen der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus sollen die Verhältnisse im Kloster Steinfeld dargestellt werden. Kirfel hat unter anderem die außergewöhnliche Position der Salvatorianer als Pächter einer Staatsdomäne, die permanente Sorge vor Vertreibung und das Aushandeln „besonderer Konditionen“ unter Inkaufnahme diverser „Gäste“ wie der Westwallarbeiter untersucht.
Mit der Napoleonischen Säkularisation 1802 endete die Erfolgsgeschichte des alten Prämonstratenserstift.
Vertreibung drohte
1845 kaufte der preußische Staat die Anlage, die 1853 zur königlich-preußischen Erziehungs- und Besserungsanstalt und 1923 geschlossen wurde. Das Kloster wurde von den Salvatorianern als Mieter wiederbesiedelt, 1924 begannen die Patres mit der Nachwuchsschulung.
Nachdem Adolf Hitler 1933 die Macht ergriffen hatte, drohte den Salvatorianern die Vertreibung aus Steinfeld. Offenbar habe es konkrete Überlegungen gegeben, im Kloster ein Schulungsheim für die Hitlerjugend oder ein Erholungsheim für die NS-Frauenschaft einzurichten, so Kirfel. Aber die Sorge vor diesem Damoklesschwert hätte ihr Übriges getan, in den Klostermauern für Unauffälligkeit zu sorgen.
Eine Ausnahme war Pater Otto Schmidt, seit 1938 Schulleiter in Steinfeld. Er fiel bei einer Predigt am 27. November 1938 in der Dreiborner Kirche einer Denunziation zum Opfer und wurde wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz inhaftiert. Nach einem halben Jahr wurde Pater Otto entlassen, durfte aber nicht mehr als Lehrer arbeiten. Im August 1939 wurde das Verfahren mangels Beweisen eingestellt.
Während eines Gottesdienstes am Hermann-Josef-Dienstag am 4. April 1939 erhielten die Salvatorianer die telefonische Mitteilung, dass sie das Kloster räumen müssten, um Westwallarbeiter unterzubringen. Schließlich konnte ausgehandelt werden, dass die Patres bleiben können, aber einen Großteil der Anlage für 1000 Arbeiter zur Verfügung stellen müssen. Am 4. September 1939 rückte zusätzlich Militär ein. Ab 1940 wurde es in Steinfeld ruhiger. Westwallarbeiter und Militär waren abgezogen. Die Schule wurde zu Ostern 1940 zwangsweise geschlossen.
630 Waisenkinder
Aber es sollten neue „Gäste“ kommen. Die Kölner Waisenhäuser mussten wegen der Kriegsentwicklung evakuiert werden. Ab 10. März 1941 zogen Kinder des Waisenhauses Köln-Sülzgürtel in Steinfeld ein. Zunächst waren es 400, die Zahl stieg bis auf 630 samt Betreuerinnen und Personal.
Waisenhausdirektor war der „katholische Nationalsozialist“ Friedrich Maria Tillmann, der von 1940 bis 1941 nebenamtlich als Büroleiter der Zentrale „T4“ tätig war, eine Abkürzung für die Berliner Adresse „Tiergartenstraße 4“. Diese Einrichtung war für die Tötung von rund 100 000 behinderter Menschen verantwortlich. Tillmann wird vorgeworfen, dafür gesorgt zu haben, dass in den „Sonderstandesämtern“ der einzelnen Anstalten nach jeder Tötung falsche Papiere für die Hinterbliebenen ausgestellt wurden.
Kurz vor der Prozesseröffnung wegen Beihilfe zum Mord starb Tillmann 1964 durch Sturz aus dem achten Stock eines Verwaltungsgebäudes. Ob es Selbstmord oder Mord war, wurde nie geklärt.
In Steinfeld hat er laut Kirfel ein unauffälliges Familienleben geführt mit Frau und drei Kindern. Nach 1945 wurde ihm attestiert, dass er dort die Kreuze in vom Waisenhaus genutzten Räumen und auch den Religionsunterricht unangetastet ließ. Er soll gar jüdische Kinder versteckt haben.
Wie Kirfel ermittelte, gab es ein ungewöhnlich erscheinendes Miteinander von christlicher Lebensführung und NS-Ritualen. Im Kreuzgang befand sich bis Herbst 1944 ein großes Hitlerbild, umrahmt von Hakenkreuzfahnen und Flammenschalen. 1944, als die Westfront näher rückte, fanden Familien aus Udenbreth, Rescheid und Umgebung im Kloster Zuflucht. Von wenigstens einer Familie ist bekannt, dass dies auf Vermittlung des Judenhassers Wilhelm Fischer, Amtsbürgermeister und NSDAP-Ortsgruppenleiter von Hellenthal, geschah.
Bis Anfang März 1945 war das Kloster ein Hauptverbandsplatz für Verwundete der Ardennen-Offensive. Laut Kirfel bergen die 277 Gräber auf dem Steinfelder Soldatenfriedhof zwischen 40 und 50 Soldaten der Waffen-SS und der Waffen-SS HJ – junge Leute, die fast noch als Kinder bezeichnet werden können. Täglich wurden in dieser Zeit 100 bis 200 Verwundete im Lazarett aufgenommen. Kirfel zitiert die Kloster-Chronik: „Steinfeld gleicht einem Lager, es wimmelt von Truppen. Die Sterblichkeit in dem Lazarett ist groß, die Verwundeten so zahlreich, daß dieselben selbst in den Gängen liegen. Selbst im englischen Radio wurde auf die Mißstände hingewiesen, die im Lazarett Steinfeld herrschten.“ Bis zum 1. April 1945 zogen rund 40 Mitarbeiter des Landratsamts des Kreises Schleiden im Kloster ein, wo sie auch bis Herbst 1946 arbeiteten. Am 20. Dezember 1945 tagte im Speisesaal des Klosters der erste Nachkriegskreistag.
Kommandantur in der Abtei
Die US-Kommandantur für den Kreis Schleiden, später die britische, bezogen die heutige Benediktinerinnenabtei.
Weil die meisten Gebäude des Waisenhauses in Köln von Bomben zerstört waren, kehrten viele Waisenkinder mit ihren Betreuern zurück nach Steinfeld. Es dauerte bis 1953, bis alle Kinder in Köln untergebracht werden konnten.
1956 kauften die Salvatorianer das Kloster vom Land NRW für 350.000 DM.
Kirfels Vortrag beginnt am am Freitag, 19. Januar, um 20 Uhr im Hermann-Josef-Saal des Klosters. Er ist Teil der spirituellen Vorträge in Steinfeld. Immer wieder hat Kirfel in dieser Reihe historische Beiträge über das Kloster beigesteuert, die Aspekte vom Mittelalter bis zur Neuzeit beinhalten. Weitere Informationen bei Pastoralreferentin Alice Toporowsky, Tel. 01 71/9 56 47 23.
– Quelle: https://www.rundschau-online.de/29511648 ©2018