KSTA vom 20.10.2014
Peter Bringmann-Henselder wurde von einem Priester in einem Kölner Kinderheim jahrelang missbraucht. Heute setzt er sich für Aufklärung und Wiedergutmachung ein. Für einen Dokumentarfilm über das Heim verwertet er bislang unveröffentlichte Akten. Von Uli Kreikebaum
Köln. Am klarsten sind Peter Bringmann-Henselders Erinnerungen im Schlaf. Bedrängt von einem Pfarrer, irrt er durch Gänge des Sülzer Kinderheim. Er will weglaufen, schafft es aber nicht. Wenn alles schwarz wird, wacht er schreiend auf.
Als Kind hatte er einen Sprachfehler. Nachdem der Priester ihn das erste Mal vergewaltigt hatte, sei er zu einer Schwester gelaufen und habe ihr stotternd erzählt, was der Geistliche getan habe. „Die Schwester hat mich mit einem Besen verprügelt und der Lüge bezichtigt. Und am Samstag gehst du dem Pfarrer deine Lüge beichten, hat sie zum Schluss gesagt.“
Anfangs habe der Geistliche ihn „nur“ alle paar Monate missbraucht, „als ich älter wurde, fast wöchentlich“. Später wurde er auch vergewaltigt. Es trat ein, was der Priester ihm von Beginn an eingebläut hatte: „Dir wird sowieso niemand glauben.“ Der Geistliche machte in der Kirche Karriere. Vor einigen Jahren ist er gestorben.
„Antrag auf Anerkennung des Leids“
Als junger Erwachsener habe er sich an das Bistum gewandt, und um Aufklärung und Entschuldigung gebeten, sagt Bringmann-Henselder: „Dort sagte man mir, das müsse der Priester mit seinem eigenen Gewissen und mit dem lieben Gott ausmachen.“ Heute sagt Bistumssprecher Christoph Heckeley, Peter Bringmann-Henselder könne einen „Antrag auf Anerkennung seines Leids“ stellen. Der Kardinal werde sich auf Wunsch mit ihm treffen. „Kardinal Meisner hat sich mit allen unmittelbar betroffenen Missbrauchsopfern getroffen, ohne je öffentlich darüber zu sprechen.“ Seit Anfang 2012 können ehemalige Heimkinder, die missbraucht worden sind, Geld aus einem Fonds beantragen, an dem sich Bund, Länder und Kirchen zu je einem Drittel beteiligen. Katholische und evangelische Kirche hatten Anfang des Jahres darauf gedrängt, die Opfer schneller zu entschädigen.
Wie so viele Heimkinder hatte Bringmann-Henselder damals nichts gegen seinen Peiniger in der Hand. Heute gibt es einige Zeitzeugen, die den Kölner Pfarrer und einige der Nonnen des Ordens „Schwestern vom armen Kinde Jesus“ schwer beschuldigen.
Peter Bringmann-Henselder sagt, er habe bis heute „keine normale Sexualität“. Man sieht dem Mann die Traumata nicht unbedingt an. Als Junge hat er sich mit Fäusten gegen die Vergewaltigungen gewehrt. Als Erwachsener bestärkt er die Opfer, ihr Schweigen zu brechen. Und wehrt sich mit hartnäckigen Recherchen. Er zeigt bislang unveröffentlichte Akten, die er für einen Dokumentarfilm über das Sülzer Kinderheim verwertet. „Sie sollen helfen zu zeigen, dass die Kirche mehr weiß, als sie sagt.“
Mit den Schicksalen von Heimkindern beschäftigt sich der Sohn einer Mutter, die ihren Lebensunterhalt als Prostituierte verdiente, seit 1979. Er hat sich für HIV-Prävention starkgemacht und gegen sexuellen Missbrauch in Familien. Vor zwei Jahren erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Er ist – für Menschen, die etwas zu verbergen haben – ein unbequemer Mensch. Man hört ihm zu.
Prügel und Geschenke
Bringmann-Henselders erste Erinnerung an das Sülzer Kinderheim ist ein Besuch im Beethovenpark. Die Schwester zeigt den Kindern ein Vogelnest, Peter fragt: „Legen Menschen auch Eier?“ Dafür eine krachende Ohrfeige. Die zweite Erinnerung: eine Nonne, die ihn prügelt. Es gibt auch schöne Erfahrungen: Er habe Geige und Klavier spielen gelernt im Sülzer Kinderheim und musiziere bis heute. „Zum sechsten Geburtstag haben die Schwestern mir einen Fotoapparat geschenkt. Es war sicher nicht alles schlecht.“
Er zeigt seine Akte: Peter ist ein normal entwickeltes Kind mit gutem Gesundheitszustand, das etwas stottert, steht da. Das war zu einem Zeitpunkt, als er schon vergewaltigt wurde. Bringmann-Henselder wollte Kameramann werden. Er wurde mit der Begründung abgelehnt, dass er immer feuchte Hände habe. Er wurde Elektroinstallateur. Mit 35 musste er in Rente gehen, weil die Vergangenheit hoch kam. Seine Frau, eine Katholikin, die im Kinderheim arbeitete, wollte von seinen traumatischen Erlebnissen nichts wissen. Wenn er mit ihr intim war, tauchten Bilder des diabolischen Pfarrers auf. Als die Ehe scheiterte, brach er zusammen. Therapien brachten nur kurzfristig Linderung.
Also warf er sich in die Recherche. Im Moment arbeitet er an der Gründung einer Stiftung, die Opfern sexueller Gewalt und Ausbeutung helfen soll. Die Verhältnisse für Heimkinder hätten sich enorm verbessert, aber es sei nicht alles gut, sagt Peter Bringmann-Henselder. Die Stadt Köln habe sich entschuldigt und viel zur Aufklärung beigetragen. „Das Bistum hat lediglich ein paar Messen für die Opfer zelebriert. Das ist wie ein weiterer Schlag in den Unterleib der missbrauchten Menschen.“
Kein Reuebekenntnis
150 ehemalige Heimkinder meldeten sich bei Rolf Koch von den Kinder- und Jugendpädagogischen Einrichtungen der Stadt (KidS), als es darum ging, eine Chronik über das ehemalige Waisenhaus zu verfassen. 120 von ihnen berichteten von Misshandlungen. Nach einem Artikel im „Kölner Stadt-Anzeiger“ Ende Juli hätten sich wieder zahlreiche Opfer bei ihm gemeldet. Die Stadt als Betreiber des Kinderheims hat sich für das Unrecht offiziell entschuldigt.
Ein Reuebekenntnis gibt es von der katholischen Kirche bislang nicht. Bistumspressesprecher Christoph Heckeley verweist darauf, dass sich jedes Opfer melden könne: „Angesichts der schweren Verbrechen ist das selbstverständlich.“ Joachim Kardinal Meisner habe sich mit allen Menschen, die unmittelbar Missbrauchsopfer geworden seien, getroffen. Wie viele Opfer das waren und was ihnen passierte, sagt Heckeley nicht. Das gehöre zum Opferschutz.
Die Aachener Regionaloberin Maria Virginia von den „Schwestern vom armen Kinde Jesus“ sagt, ihr Orden spreche „mit jedem, der sich meldet“. Über eine Entschuldigung habe sie „noch nicht nachgedacht. Was passiert ist, ist passiert.“ (uk)
http://www.ksta.de/koeln/opfer-berichtet-missbraucht-im-koelner-kinderheim,15187530,28787624.html
Hallo,
war von 1966 – 1969 in Köln Sülz.. ( Haus Ursula, Scwester Clara A. ) Habe sowohl mit den Schwestern wie auch mit dem geistliche die gleichen Erfahrungen gemacht. Würde mich über eine Rückmeldung unter Stichwort Sülz freuen.