"1945 kam ich ins Kinderheim Sülz" (Mein Heimerlebnis)
Hallo, liebe Ehemalige:
So fing meine Kinderheimerfahrung an im Jahre 1945, als meine Mutter und ich aus der Evakuierung in Thüringen ins zerstörte Köln zurückkamen. Nachdem ich eine Zeit auf der Isolierstation in der Lindenburg verbracht hatte - Krätze - wurde vom Jugendamt entschieden, dass ich von dort ins Kinderheim überwiesen werden sollte. Dort war ich ein Zögling in der Jungengruppe von Sr. Maria Hildegund. Ich war 8 Jahre alt und wurde ins 3. Schuljahr eingestuft. Nach gut einem Jahr wurde ich nach Mülheim ins Elisabeth-Breuer-Stift überwiesen. Es war ein kleineres Kinderheim als Sülz, mit wenigeren "Gruppen und Klassen (Jungen und Mädchen), alle unter der Aufsicht von Schwestern des Augustiner Ordens (so glaube ich) und dem weltlichen Lehrpersonal, ein Lehrer, Herr Wilhelm G., und 3 Lehrerinnen, Frl. D., Frl. K., und Fr. W. Es war ein richtiges Voksschulprogramm, unter der Hauptaufsicht vom Schulamt der Stadt Köln.
Eines der allerersten Dinge in meiner Erinnerung an Mülheim war ein riesiger Ziegelstein-Trümmerhaufen im Hof. Es stellte sich heraus, dass diese Ziegelladung per Lastwagen herangebracht wurde um uns Jungs (Alter 9 - 14) einzuspannen für die Säuberung der einzelnen Ziegelsteine von allen Resten des Zements. Damals war der Ausdruck hierfür "Steineklopfen". Eines stand fest, wir waren abends regelrecht müde nach einem Nachmittag der Ziegelsäuberung.
Die Routine im Heim war eigentlich reibungslos. Morgens Leibesübungen im Schulhof mit Herrn Lehrer G., Klassenunterricht per Plan. Unser Religionslehrer war der Hausgeistliche, Herr Pater M., der auch den Kinderchor leitete. Er glich dem ehemaligen Papst Pius XII - mit dem übrigens Hitler ein Konkordat abgeschlossen hatte. Pater M. war sehr talentiert, indem er nicht nur Klavier spielte, sondern auch die Orgel. Eine seiner Unterrichtsmethoden war, dass wir uns möglicherweise alle an seine Predigt vom Sonntag erinnern sollten.
An eine Situation im Heim kann ich mich sehr gut erinnern, und zwar ging es ums Brot. Zum Frühstück gab es gewöhnlich 2 Scheiben Graubrot, ein Sternchen Butter, und Marmelade. Auf einmal, es war 1947, gab es für uns ein "gelbes Brot", was ganz anders schmeckte und etwas schwerer zu kauen war. Da war einfach nichts anderes. Wir wollten unser gutes deutsches Graubrot. Es stellte sich heraus, dass man uns "Maisbrot" gegeben hatte, von dem wir überhaupt nichts wussten. Gott sei Dank war dies vorübergehend und bald konnten wir wieder Graubrot essen. Warum gab es auf einmal Maisbrot? Die Antwort ist eine politische Antwort: Nach dem Krieg, unter dem Marschall Plan, bekam Deutschland Millionen an Tonnen Getreide aus Amerika. Bundeskanzler Adenauer hatte bei den Amerikanischen Wirtscdhaftsexperten um die Lieferung von "Korn" gebeten, in der Erwartung, das gute deutsche Korn auch zu kriegen. Es stellte sich heraus, dass anstelle dessen "Mais" geliefert wurde - von dem Amerika einen Überfluss hatte - denn im amerikanischen Englisch ist "Corn" Mais. Also.....ein Übersetzungsfehler bei den Verhandlungen mit Amerika 1947. Tausende von Kindern in Kinderheimen mussten leider für eine Weile Maisbrot essen..!
Nach einigen Jahren wurde uns ein regelrechter Erzieher zugeteilt, ein Herr Heinz P., der unsere Jungengruppe übernahm. Wir waren begeistert und fühlten uns sehr sicher mit ihm. Er stellte sofort eine Fussballmannschaft auf und hatte sich sehr aktiv an den Ereignissen beteiligt. (Guter Stürmer und Torwart). Einer meiner Mitschüler war unser "Star Spieler", der Heinz H. der gewöhnlich in der Mitte blieb und dirigierte. Meine Position war links aussen.
Jetzt kam vom Schulamt eine Anweisung an unsere Schule, Prüfungen abzuhalten, um zu bestimmen, welche Schüler sich unter Umständen für eine Sekundärschulung qualifizieren konnten. Es ging hier ums Aufsatzschreiben und Rechnen...., Dinge, die nicht unbedingt populär waren bei vielen von uns. Ich hatte mich auch gemeldet, Prüfung gemacht, gehofft auf Realschule oder Gymnasium.....aber nur meine Freunde Georg M. und Hänschen S. hatten es geschafft. Es war eben eine kleine Enttäuschung für mich, aber das Leben musste weitergehen. Nach 8 Jahren traf ich durch Zufall auf Georg M. am Rudolfplatz. Wir erkannten uns sofort und sprachen über alte Zeiten.
Vielleicht darf ich hier einige Dinge aufzeichnen, die in unserem Leben in Mülheim von Bedeutung waren:
1. Erste Kommunion
2. Weihnachtsbescherung
3. Namenstagsfeier und Bescherung für alle - Am Allerheiligentag
4. Besuche von meiner Tante Lisbeth und Cousine Juliane, jeden 2. Sonntag Nachmittag, für eine Stunde. Sie mussten von Ehrenfeld anreisen, was damals, 1946 bis 1948 ziemlich umständlich war - Strassenbahn - Fähre - Strassenbahn. Ab 1948 wurde mir erlaubt, jeden 2. Sonntag, nach dem Gottesdienst und Frühstück, die Familie meiner Tante in Ehrenfeld zu besuchen, um dann gegen Abend wieder ins Heim zurückzukommen. Am Anfang war es: zu Fuß bis zum Rheinufer in Mülheim, Fähre bis zur Hohenzollernbrücke, zu Fuß bis Haltestelle Hauptbahnhof, und dann schließlich mit der Linie 5 nach Ehrenfeld. Nachher, in den End-Vierzigern, wurde es einfacher, denn ich konnte am Wiener Platz in Mülheim auf die Linie 1 klettern und meine Reise zur Tante in Ehrenfeld beginnen.
5. Kino Besuche für alle Kinder aus den Kinderheimen Kölns im Scala Theater -
bei besonderen Filmen, wie DAS GEWAND, begutachtet und freigegeben
durch die Erzdiözese Köln
6. Riefkooche, die sich jede Gruppe 2-mal im Jahr wünschen durfte; die
Kartoffeln mussten wir aber selber schälen in der Waschküche - war aber
ein Genuss.
7. Besuch im Schrebergarten von Herrn Lehrer G., wo wir dann Stachelbeeren
und Johannisbeeren pflücken durften und viele davon essen durften - je
nach Bedarf.
8. Ich durfte zur Sparkasse gehen - während der Schulstunden - um das
Gehalt von Lehreer G. abzuholen. Im Briefumschlag haben die Münzen ge-
klingelt. Damals gab es vielleicht noch keine Gehalts-Scheck Einrichtung..?
9. Gegen Ende meiner Schulzeit dort hatte das Schulamt der Stadt Köln es
erlaubt, in unserer Heimschule Englisch Unterricht einzuführen. Eine unserer
Lehrerinnen, Frau W., die einmal in England als Gouvernante beschäftigt war,
hatte nach Freiwilligen gesucht - und gefunden - und so hatte auch unsere
kleine Heimschule den Weg in die Fremdsprachenabteilung gefunden.
Der Schulabschluss war nun sehr nah und wir sprachen über nichts anderes als mögliche Lehrstellen und was wohl am besten wäre. Einige Jungen sprachen davon, vielleicht zum Bauer zu gehen, wo sie dann auf der Landwirtschaft ihre Karriere anfangen könnten, wer weiss.......Der Spitzenberuf, von dem die meisten sprachen, war: Auto-Mechaniker. Da aber seinerzeit (1952) nicht allzuviele Gelegenheiten existierten auf diesem Gebiet, mussten einige eben anders wählen.
Meine Tante, die über mich die Vormundschaft hatte, sagte einfach: Dä Manfred muss in et Büro. Dä es doch vill zo klein.....Und so wurde für mich entschieden, mit Hilfe meiner Cousine Marianne, und Vorsprache bei Direktor Dr. Abeln, dass ich 2 Jahre Handelsschule machen sollte, und anschliessend eine kaufmännische Lehre. Für diese 2 Jahre wurde die Einweisung ins Lehrlingsheim Sülz angeordnet, effektiv 1. April 1952. Der Leiter des Lehrlingsheimes war Herr Johannes Kellner.
Die Zeit, die ich im Lehrlingsheim verbrachte, war sehr angenehm, denn die allgemeine Altersstufe war höher als im Kinderheim. Die Jungen waren ja fast alle schon in der Berufsausbildung (Lehre) und eine gewisse Reife und das Gefühl der Verantwortlichkeit war schon mehr ausgeprägt als vorher. Außer Herrn Kellner kann ich mich sehr gut an unsere Köchin erinnern, eine Frl. Lotte, die für unsere Verpflegung zuständig war. Sie war allgemein sehr beliebt und hatte immer ein freundliches Wort für alle. Es würde mich gar nicht überraschen, wenn sie ebenfalls eine Ehemalige wäre, die von der Haushaltsschule abgegangen war. Beim Durchblättern des "Buches", Seite 146, welche eine Liste zeigte von Angehörigen des Waisenhauspersonals und verschiedenen Zöglingen, die ein Entlastungsschreiben zu Gunsten von Herrn Tillmann unterschrieben hatten, fand ich auch den Namen von Frl. Lotte (Anlage 43). Auf Seite 262 fand ich sogar ein Photo - unten links - wo Frl. Lotte in der Mitte steht, immer ein freundliches Gesicht.
Mein Abschied vom Lehrlingsheim war Ende März 1954, obwohl ich sehr wahrscheinlich, wie meine Kameraden im Lehrlingsheim, bis zum Ende der Lehrzeit im Heim verbleiben könnte. Anstelle dessen hatte sich meine Tante Liesbeth bereiterklärt, mich in ihre Wohnung aufzunehmen, wo sie eine kleine Ecke für mich fand, ein Wandbett aufzustellen. Von dort hatte ich dann meine kaufmännische Lehre (2-1/2 Jahre) bei KHD angefangen und somit den ersten Schritt in die richtige Welt getan. Ich kann mich noch an das Lehrgeld erinnern - 52.00 DM pro Monat im 1. Jahr, 63.00 DM im 2. Jahr, und 72.00 DM pro Monat im 3. Jahr. Heutzutage würde man darüber lachen...
Man könnte sagen: In Sülz fings an, in Sülz hörte es auf.
Vielen Dank für Eure Geduld beim Durchlesen.
Gruss,
brusselfred
"1945 kam ich ins Kinderheim Sülz"
Hallo, liebe Ehemalige:
Eine kleine Reise in die Vergangenheit ist bestimmt erlaubt. Wiederum ist es die bekannte Adresse: Sülzgürtel 47, das Kinderheim, dessen ehemaligen Bewohnern dieses Forum gewidmet ist.
Wir haben alle, so möchte ich annehmen, die angenehmen und auch unangenehmen Erfahrungen unserer Heimzeit - beschrieben im Forum - zu Herzen genommen und dürfen hoffen, daß wir in der Lage waren, ein normales Leben zu führen, relativ gesprochen.
Diese Zeilen sind eigentlich den kleinen Kindern gewidmet, die in der Zeit nach dem Krieg im Kinderheim lebten (1945/1946) und die einen Teil ihrer Kindheit aktiv mitgeholfen hatten, den riesigen Trümmerhaufen auf dem Heimgelände zu reduzieren bzw. zu beseitigen. Hier darf ich auf das eindrucksvolle Foto hinweisen, welches auf Seite 14 des "Buches" zu sehen ist. Diese Kinder, Jungen und Mädchen haben, ob sie es wußten oder nicht, eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau des Kinderheimes gespielt. Leider sind auf dem Bild die Kinder nicht zu sehen, die das Steineklopfen als Aufgabe hatten, also die Entfernung vom Mörtel.
Man kann sagen: Steineklopfen und Trümmerräumen gingen Hand in Hand.
In Erinnerung,
brusselfred
"1945 kam ich ins Kinderheim Sülz"
Die Trümmerkinder vom Sülzgürtel 47...
Viel wurde geschrieben, nach dem Krieg,
Über die Trümmerfrauen von Berlin.
Die Zeitungen waren voll mit Bildern -
Sie kamen uns einfach nicht aus dem Sinn.
Ihre Männer, auch Söhne und Brüder
Waren teilweise noch nicht zurück von der Front.
Gefangenschaft war für Tausende von Männern
Die Realität, die nach verlorenem Kriege kommt.
Meine liebe Oma, die wartete vergebens
Auf ihren "Heinz", dann in Russland in der Haft.
Erst '48 kam er wieder in die Heimat,
Doch meine Oma verlor schon '47 ihre Kraft.
Da waren plötzlich die vielen Frauen
Die neuen Helden der Zeit.
Sie attackierten unzählige Trümmerhaufen,
Heute würde man sagen, sie waren "allzeit bereit"
Köln blieb von diesem Trümmer-Fiasko
Ebenfalls überhaupt nicht verschont.
Hier musste jedermann hart zugreifen -
Nur so hatte es sich am Ende gelohnt.
Am Sülzgürtel 47
Gab es eine besondere Situation,
Als im Waisenhaus-Kinderheim
Eine neue Notwendigkeit setzte den Ton.
Diese Notwendigkeit waren die Kinder -
Und Sülzgürtel war ihr "Zuhause".
Man zog sie heran - Jungen und Mädchen,
Für "Erwachsene Arbeit", mit wenig Pause.
Sie klopften die Steine - ohne Handschuh
Und schleppten sie dann weg.
Sie stapelten die gesäuberten Ziegel,
Dann ging's zurück, zurück in den Dreck.
Wahrscheinlich waren eine Christa und Willi dabei,
Vielleicht auch eine Marlies und Rainer.
Die schmutzigfe Arbeit, die ging eifrig voran,
Denn drücken wollte sich keiner.
Es würde mich gar nicht überraschen,
Wenn von den Kindern jemand heute noch lebt.
Denn die Zeiten waren damals ganz anders,
Ganz anders von dem was man heute anstrebt.
Drum waren für uns Ehemaligen diese Kinder
Damals die neuen Helden der Zeit.
Die Stadt Köln brauchte sie leider -
Die Kinder haben es sicher nicht bereut...!
Bravo!