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Daggi1974 Zeit in Sülz und damals (Allgemein)

Klaus Grube ⌂ @, Hellenthal, Montag, 13.07.2009, 13:09 (vor 5613 Tagen)
bearbeitet von Klaus Grube, Montag, 13.07.2009, 14:47

Hallo Daggi,
wie du ins Heim gekommen bist habe ich bereits meine Kariere in diesem Kinderheim beendet. Wie ich sehe warst du in der Gruppe von Franz Ocklenburg der ja leider vor 2 Jahren an Krebs verstorben ist. Jedenfalls durfte ich Ihn am Anfang seiner Beruflichen Laufbahn noch kurz kennen lernen. Das war 1978 bei Gruppe Virnich.
Du warst nur 8 Jahre dort. Ich durfte die Führsorge volle 23 Jahre, also von 1960 bis 1983, genissen. Leider war unsere Zeit etwas anders als deine. Auch die Gründe uns als kleine Würmchen dem Heimschicksal zu überlassen waren damals andere als zu deiner Zeit.
Nonnen, Kirche, Weltliche Monster und die liebe Fürsorge gepaart mit Zucht und Ordnung so wie die dazugehörige Doppelmoral bestimmten unseren Altag im Heim, was oft kein Zuckerschlecken war.

Die Doppelmoral zu unserer Zeit (Ironisch aufbereitet und galt bis 1973)

  • Die damaligen Schläge ob sie im Namen des Herrn kamen oder von weltlichen Erzieherinnen (Die selten eine solche Ausbildung inne hatten) kann ich heute im Täglichen Leben noch immer nicht sinnvoll Anwenden. Die Strafprozessordnung hätte etwas dagegen und ich würde belangt werden im Gegensatz zu den damaligen Obrigkeiten, die es offenbar immer durften. Schlisslich waren wir von Geburt an extrem Böse so wie Verkommen und Verdorben, dass jeder Schlag gerechtfertigt war und der Erziehung und uns gut tat. Ich habe bis heute nie efahren dürfen was Schläge bringen.

  • Übrigens waren damals alle im Heim lebende Kinder grosse Sünder. Wie sonst kann ich mir es erklären, wieso wir jeden Samstag Beichten gehen mussten. Da kann ich nur immer wieder Feststellen das die Obrigen uns nicht auf dem Pfad der Tugend brachten und schlichtweg versagten. Nur so ließe sich unsere Sünden erklären. Wie immer diese 10 Gebote für uns Sünder zu verstehen waren- ich verstand diese Gebote nie. Aber eine gute Vorlage fürs Leben wie man es nicht machen sollte, brachte man uns schon sehr früh bei :-).

    1 Du sollt keine anderen Götter haben neben mir
    2 Du sollst den Namen des Herrn nicht missbrauchen
    3 Du sollst den Feiertag heiligen
    4 Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren
    5 Du sollst nicht töten
    6 Du sollst nicht ehebrechen
    7 Du sollst nicht stehlen
    8 Du sollst nicht falsch Zeugnis reden ...
    9 Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib
    10 Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus

    Puh und das zwischen meinen 7 und 13 Lebensjahren - 50x im jahr und das Jahr für jahr....
    Lieber Pastor mit 10 Jahren habe ich gelogen, betrogen , getötet die Ehe gebrochen und mein Weib betr.... ähm wie bitte?

  • In zweierreihen spazieren gehen, war die reinste Freude für uns. Damit auch ja keiner aus der Reihe Tanzte ging die Verantwortungsbewusste Erzieherin immer schön hinter uns. Und was machten die Bürger die uns sahen... Spielt nicht mit dem Schmudelkind, fragt nicht danach und macht bloss einen großen Bogen um uns. Die Gesellchaft übte sich in wegsehen und wir haben uns all dies nie anmerken lassen, wie sehr uns die Gesellschaft mochte.

  • Zu aller Freude gingen wir natürlich jeden Sonntag gerne in die Heilige Messe. Nur wenn wir uns dabei vom lieben Taschengeld (Gelder der Stadt Köln) trennen mussten, um der armen Kirche etwas in den Opferstock zu geben, betete ich um mehr Taschengeld oder etwas weniger Sonntagskirche. Der da oben hat meine Gebete in der Heiligen Messe leider nie erhört. Entweder habe ich vom Herrn zu viel verlangt oder die Kirche benötigte dringender das Geld als ich.
    Immerhin kam an 52 Messen im Jahr/50 Pfennige- eine Summe von 26 DM pro Kind in den Opferstock. Wieviel Kinder gingen jeden Sonntag in die Messe?
    Jedenfalls lernte ich so die Betriebswirtschaftlichen Subventionen der Kirche kennen und merkte bald, dass dies kein lohnendes Investition für mich war.

  • Na, freuen wir uns nicht auch wenn jemand Geburtstag hat. Klar, dass musste gefeiert werden. Allerdings vom restlichen Taschengeld. Denn irgendwo mussten ja die Geschenke her... Wir taten es ungefragt gerne.

  • Und jahrzehnte danach? Macht nix wenn du nicht in der Gesellschaft so richtig klar kommst, oder nachts Albträume hast oder heute immer noch unfähig bist Kontaktnähe zu pflegen. War doch alles harmlos und seh dich an... - aus dir ist doch was geworden - Dank jahrelanger Führsorge und kirchlichem Verständnis und der Doppelmoral.

Diese Form von erzieherischen "Genuß" durfte dir ja erspart geblieben sein.
Den zu Franz`s Zeiten herschte eine moderne Pädagogik die es ermöglichte Heimkinder besser auf das Leben vorzubereiten als zu jener Zeit bei uns.

Wenn du magst, Berichte uns wie es bei dir war. Warum kamst du ins Heim und was machst du heute so?

--
Es gibt immer einen Weg zu uns allen - wir müssen es nur wollen
Mit lieben Grüßen euer Klaus
Internet: http://www.kinderheim-Koeln-suelz.de
Verantwortlich und Kontakt: https://kinderheim-koeln-suelz.de/?page_id=28

Daggi1974 Zeit in Sülz und damals

imi @, Kaiserslautern, Montag, 13.07.2009, 19:07 (vor 5612 Tagen) @ Klaus Grube

Wie kann man nur so undankbar sein. Hast doch nicht genug gelernt in dieser Zeit. Schande ueber Dich! :-D
Aber Spass beiseite, Schlaege, die waren bald ein Bestandteil Deines Lebens, so alltaeglich wie 3 Mahlzeiten.
Die seelischen Quqaelereien, dem Wuerde entziehen, den Momenten Scham ausgesetzt zu sein, auch den (ich nenne es so) Toetungsversuchen, wo Du um Dein erbaermliches Leben gebettelt hast, diese Erlebnisse holen Dich ein Leben lang ein. Hindern Dich wirklich ein "normales" Leben zu fuehren. Glaubt mir,
es ist mehr erschreckend wenn Du an einem Punkt bist, wenn Du Dein Leben
ueberdenken musst, wenn die Zeit zum Bilanz ziehen da ist. Und dann, gemessen an gesellschaftlichen Normen und Vorstellungen, musst du dich als Versager,
als Unwert, ganz wie es Dir immer wieder eingeblaeut wurde, erkennen.
Diese fruehe, systematische Zerstoerung heilt nie mehr.
Ich freue mich fuer die Spaeten Heimkinder, fuer die, die Heim als Heim erleben konnten.

imi

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Daggi1974 Zeit in Sülz und damals

Klaus Grube ⌂ @, Hellenthal, Montag, 13.07.2009, 19:30 (vor 5612 Tagen) @ imi

Jo imi schande über mich - das Haupt senkt und demütig ins leere schaut :-(
Zu mehr waren manche damals garnicht fähig. Ich hatte Glück das ich nur 7 Jahre diesen Terror ausgesetzt war. Und das bei einer weltlichen Frau und nicht Nonne.

Das hat mit Sicherheit mein Leben mitgeprägt. Gottseidank waren die erst 6 Jahre (man hatte ich Glück das ich ein soooooooooo süsses Baby war ;-) ) und nach dieser Frau Wiesemann meine besten Jahre.

Andere die die Nonnen erlebt hatten, die schon vor und während des Krieges in dem Heim gearbeitet haben, ging es oft ebenfalls nicht besser. Nicht alle Ordensschwestern waren so. Aber die die es waren haben viele seelische Krüppels gezüchtet.

--
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Mit lieben Grüßen euer Klaus
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Daggi1974 Zeit in Sülz und damals

daggi1974 @, Pulheim, Mittwoch, 15.07.2009, 06:39 (vor 5611 Tagen) @ Klaus Grube

Hallo Klaus...du fragtest mich warum ich ins Heim gekommen bin...Ist eigentlich nichts Weltbewegendes...
Mein Vater war damals im Anfangsstadium von MS mit Spastik. Da meine Mutter mit der Situation überfordert war ist sie oft von zu Hause weg geblieben und meine Geschwister waren auch selten daheim. Also war ich zum größten teil mit ihm allein. Mußte oft Nachts aufstehen weil er Durst, Hunger oder der Drang zur Toilette da war. Damit er nicht allein blieb, bin ich oft der Schule fern geblieben. Irgendwann war ich dann auch damit überfordert und habe mit der Mutter meiner Freundin gesprochen. Sie war und ist noch Lehrerin. Sie verständigte das Jugendamt. Eigentlich sollte nur mein Vater ins Pflegeheim, aber mein Vater wollte nicht das ich bei meiner (alkoholsüchtigen) Mutter bleibe, also hatte ich ein Gespräch in der Gruppe Ocklenburg. Die fragten mich dann, wann ich denn zu ihnen in die Gruppe kommen möchte. Ich sagte ohne zu zögern "Morgen". Das war dann der 26.03.1986. Geburtstagsgeschenk von einer Erzieherin (Maria Mill). Ich wurde dort herzlich aufgenommen, auch von den Mitbewohnern.
Ich hatte eine sehr schöne Zeit dort und bereue auch keinen Tag dort, denn da hatte ich endlich eine schöne Kindheit.
Das schlimmste war eigentlich das mein Taschengeld ständig unter Verschluß blieb da man mich stets beim rauchen erwischt hatte. 5DM bei jedem erwischen.
glg Daggi
PS hoffe es langweilt euch nicht:-)
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Daggi1974 Zeit in Sülz und damals

imi @, Kaiserslautern, Mittwoch, 15.07.2009, 06:58 (vor 5611 Tagen) @ daggi1974

Hallo Daggi,
Rauchen war schon immer teuer. :-D
Aber Spass beiseite, dafuer das Deine Heimaufnahme nichts weltbewegendes war, hast Du doch ne Menge dargelegt. Aber Verdraengen kann auch helfen.
Freut mich das Du zu den gluecklichen gehoerst, denen das Heim ein zuhause war.
Bewahre Dir die Erinnerung. Wuensche Dir alles Gute weiterhin

imi

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Daggi1974 Zeit in Sülz und damals

daggi1974 @, Pulheim, Mittwoch, 15.07.2009, 07:06 (vor 5611 Tagen) @ imi

Hallo Imi...
Weltbewegend war die Zeit vor dem Heim...da ich da keine richtige Kindheit erleben konnte...bin zwar nie von meinen Eltern geschlagen worden aber schön war meine Kindheit nicht...habe mich im Heim zuhause gefühlt..anfangs hatte ich zwar oft heimweh aber als ich mich eingelebt hatte war ich froh dort zu sein...wer weiß was sonst aus mir geworden wäre...wahrscheinlich ein alki...
das schlimmste für mich war eigentlich das die eltern von meiner damals besten freundin meinten, als ich ins heim kam, ich wäre kein guter umgang für ihre tochter...heimkinder sind schlecht haben sie gesagt...das hat weh getan...aber nachher war es mir egal...
lg daggi

Daggi1974 Zeit in Sülz und damals

Bernd D ⌂ @, Köln, Mittwoch, 15.07.2009, 07:22 (vor 5611 Tagen) @ daggi1974

Hallo daggi

Et is doch schön,dat du dich an dingen eerste Daach erinnern kanns.Ich kann dat vun mir nit behaupte war jo och eers 3 jahre alt.
Dat Pänz us de Heim jemiede wurde stimmt allerdings.Leider.
Dat wird ävver och durch de Medien jeschürrt.Wenn ich so einije strafftäter höhre wat de sajen.Ich hatte een schwere Kindheit ich war im Heim.Da schwillt mir de Kamm.Ich war och im Heim un bin nit op de schiefe Bahn jeraten.

Daggi1974 Zeit in Sülz und damals

imi @, Kaiserslautern, Mittwoch, 15.07.2009, 07:36 (vor 5611 Tagen) @ Bernd D

Hallo Bernd,
auch wenn Dir der Kamm schwillt, (regt mich auch auf wenn ich's lese}
aber, vun nix kuett nix! Ein wenig differenzieren, in einigen Faellen mag der Ausloeser wirklich am Heim liegen. Leider zerstoert eine zerstoerte Psyche oftmal den Blick fuer Werte, und eine Menge anderer "Normen" die ich nicht unbedingd darlegen muss. Habe in meinem Leben einige hoffnungslose Menschen gesehen, ebenso einige die es geschafft haben. Sei nicht blind ungerecht
was nicht heisst ich gebe diesen Menschen recht in Ihrem Tun und Handeln.

Dabei noch mal die Frage, die ich schon frueher mal stellte,
hast Du einen aelteren Bruder Karl Heinz?


imi

Daggi1974 Zeit in Sülz und damals

imi @, Kaiserslautern, Mittwoch, 15.07.2009, 07:27 (vor 5611 Tagen) @ daggi1974

Nach dem Motto frei nach Reinhard May, "Spiel nicht mit dem Schmuddelkind..."
Mit Heimkindern konnte oder wollte die Gesellschaft niemals umgehen.
Wie's heute ist, weiss nicht. Hab in den letzten Jahren kein Heim mehr gesehen.
Frage mich im Nachhinein, wo diese Heime in Amerika waren, Habe nie eines gesehen oder von gehoert.
Waere ne Frage an jeden, wie sind Heimkinder heute im Blick der Gesellschaft.
Wie sah und wie sieht es mit Deinen Geschwistern aus?

Weiterhin alles Gute

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Daggi1974 Zeit in Sülz und damals

daggi1974 @, Pulheim, Mittwoch, 15.07.2009, 07:50 (vor 5611 Tagen) @ imi

Hallo imi...was meine geschwister angeht, die sind 6 und 8 jahre älter als ich...meine älteste schwester hatte schon ne eigene wohnung während ihrer lehrzeit und meine andere schwester hat bei ihren schwiegereltern gewohnt mit ihrem freund und jetzigen mann...denen geht es ganz gut...als meine mittlere schwester ihre tochter(Juni1986) bekam war ich viel bei ihr bzw so oft wie ich durfte...habe heute ein gutes verhältnis zu ihnen aber das hatte ich schon immer...sie waren immer für mich da...

Daggi1974 Zeit in Sülz und damals

imi @, Kaiserslautern, Mittwoch, 15.07.2009, 07:55 (vor 5611 Tagen) @ daggi1974

Klingt gut fuer Dich, geniess es
Waren Deine Geschwister auch im Heim?

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Daggi1974 Zeit in Sülz und damals

daggi1974 @, Pulheim, Mittwoch, 15.07.2009, 09:15 (vor 5611 Tagen) @ imi

meine geschwister waren nicht im heim...nur ich...aber wie schon gesagt durfte ja oft zu ihnen

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Daggi1974 Zeit in Sülz und damals

Klaus Grube ⌂ @, Hellenthal, Mittwoch, 15.07.2009, 15:35 (vor 5611 Tagen) @ daggi1974

Liebe Daggi,
da kannst du mal sehen welche unterschiedliche Gründe es in den Familien gibt. Bei mir war es so, dass ich als Säugling schwer Nieren u. Blasen-Krank war und unehelich geboren wurde. Für damalige Verhältnisse ein Unding und so wurde ich schnell ins Heim abgeschoben.
Bei dir war es der erkrankte Vater, was deine Mutter vollig überlastete. Sei Froh in diesem Heim gewesen zu sein. Mit Ocklenburg hast du einen modernen Pädagogen bekommen und somit war das Heim für dich ein Ort des Lebens. Und genau das lesen wir hier im Forum auch sehr gerne. Grade diese Kontraste der Heimerziehung zwischen Früher und Heute zeigt doch das es anders geht.

Ähm, Fluppe aus während du das hier liest...:-D

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Es gibt immer einen Weg zu uns allen - wir müssen es nur wollen
Mit lieben Grüßen euer Klaus
Internet: http://www.kinderheim-Koeln-suelz.de
Verantwortlich und Kontakt: https://kinderheim-koeln-suelz.de/?page_id=28

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