FKBP5 (Presseberichte)
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Quelle: SZ, 3.12.2012
Schutz aus dem Erbgut
Ein frühkindliches Trauma erhöht das Risiko, später im Leben Stresskrankheiten zu bekommen - doch das gilt nicht für jeden. Nun ergründen Forscher, was manche Menschen besonders widerstandsfähig macht
von Peter Spork
Darf man hier von Glück im Unglück sprechen? Manche Menschen werden als Kinder schwer misshandelt oder gar sexuell missbraucht und haben später dennoch kein erhöhtes Risiko, eines der vielen Folgeleiden zu entwickeln. Normal ist es jedenfalls nicht: Früh gestresste, traumatisierte Menschen reagieren später im Leben oft überempfindlich auf erneute Traumatisierungen oder sonstige Belastungen. Das macht sie häufig krank. Von Typ-2-Diabetes über Fibromyalgie, Autoimmun- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu psychischen Leiden aller Art reicht der Reigen sogenannter Stresskrankheiten. Sogar die Krebsgefahr steigt, wenn die menschliche Physiologie auf Belastungen überempfindlich reagiert.
Elisabeth Binder und Torsten Klengel vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München haben mit Kollegen eines der Moleküle untersucht, das über die Intensität der Stressreaktion mitentscheidet. Dabei förderten sie Details darüber zutage, wieso manche Menschen resilienter sind als andere (Nature Neuroscience, online). Und sie liefern ein Beispiel für den neuen Blick der Biologie auf die Wechselwirkungen zwischen Erbe und Umwelt.
Im Visier der Forscher befindet sich ein Hilfsmolekül, das die Wirkung des Stresshormons Cortisol verändert. Es heißt FKBP5 und steuert die Stoffwechselreaktion einer Zelle auf Stresssignale. Von seinem Gen gibt es zwei Typen. Diese Variation - so winzig sie auch sein mag - spielt mitunter Schicksal. Denn sie entscheidet mit darüber, ob und wie Umwelteinflüsse das Stressreaktionssystem umprogrammieren, sagt Elisabeth Binder: 'Wer früh im Leben traumatisiert wurde und zudem den sogenannten Risikotyp von FKBP5 geerbt hat, entwickelt als Erwachsener eher als andere Menschen eine Depression, eine Posttraumatische Belastungsstörung, aggressives Verhalten oder eine bipolare Störung und hat ein erhöhtes Suizidrisiko.' Besitzt man den Risikotyp nicht, ist man zwar nicht gegen diese Leiden gefeit, aber ein frühkindliches Trauma scheint keinen Einfluss mehr zu haben. Und damit ist immerhin der wichtigste Akteur aus dem Spiel. Denn unter den vielen Risiken ist, über die Gesamtbevölkerung gesehen, ein Trauma zwischen Geburt und Pubertät das größte.
Das internationale Forscherteam unter Leitung der Münchener erkannte nun, warum und wie die Genvarianten so unterschiedlich wirken. Der schützende Typ erschwert es dem Erbgut beim FKBP5-Gen, auf Einflüsse aus der Umwelt zu reagieren. 'Man könnte auch sagen, bei diesen Menschen unterhalten sich an dieser besonders wichtigen Stelle Erbe und Umwelt nur schlecht miteinander', sagt Binder.
Sogenannte epigenetische Marker, die auf äußere Einflüsse reagieren und wie Schalter die Aktivierbarkeit eines Gens dauerhaft verändern, werden durch die schützende Genvariante ausgebremst. Das zelluläre Gedächtnis der Gehirnzellen kann sich bei den Trägern dieser Genvariante an das Trauma schlechter erinnern. Die Art und Weise, wie Menschen auf Umwelteinflüsse reagierten, sei deshalb sehr unterschiedlich, erklärt Elisabeth Binder: 'Es sind zum Beispiel nur vergleichsweise wenige Erwachsene, die nach einem Trauma wirklich erkranken.' Zuletzt habe man dann entweder auf Unterschiede in der Umwelt oder in den Genen geschaut. Entscheidend sei aber immer beides zusammen. Man könne Erbe und Umwelt nicht mehr voneinander trennen.
Moshe Szyf, Epigenetiker von der McGill University in Montreal, sieht es genauso: 'Klengel und Kollegen liefern den ersten plausiblen molekularen Beleg für eine Erbe-Umwelt-Interaktion.' Bislang habe man nicht ausschließen können, dass die Wechselwirkung zwischen beiden Polen 'lediglich ein statistisches Konstrukt ist'. Jetzt kenne man immerhin eine der zugrunde liegenden molekularen Kettenreaktionen.
Die Forscher aus München analysierten Blutproben von fast 2000 Teilnehmern des 'Grady Trauma Project', einer großen Erhebung aus den USA, die den Einfluss von Traumatisierungen auf das spätere Krankheitsrisiko verfolgt. Dabei bestätigte sich zunächst der Befund, dass jene Menschen, die vor der Pubertät traumatisiert wurden und die Risiko-Genvariante tragen, später im Leben ein besonders hohes Krankheitsrisiko haben. Mit einer aufwendigen biochemischen Analyse fanden die Forscher schließlich die maßgeblichen Details: Nur bei den traumatisierten Trägern der Risiko-Variante war das Gen für FKBP5 stark aktiviert. Den molekularen Hintergrund dafür erkannten die Forscher ebenfalls. An die DNA hatten sich an dieser Stelle auffallend wenige Molekülbausteine angehängt, sogenannte Methylgruppen. Diese verhindern offenbar, dass das Gen aktiviert wird. Fehlen die Methylgruppen aber, kann die DNA offenbar besonders gut abgelesen werden. 'Es muss durch das Trauma zu einer aktiven Entfernung der Methylgruppen an dieser Stelle gekommen sein', sagt Torsten Klengel.
Eine solche Abwandlung wird epigene-tisch genannt ('epi-' für 'über' oder 'zusätzlich'). Sie verändert zwar nicht den Code des Erbgutmoleküls DNA. Dennoch prägt sie dauerhaft die Biochemie der Zelle und wird auch an deren Tochterzellen weitergegeben. Weil Zellen mit diesen Schaltern ihren Zustand regelrecht einfrieren können, sprechen Biologen von der Epigenetik als dem Gedächtnis der Zellen. Das Epigenom - also die Gesamtheit der epigenetischen Schalter einer Zelle - sei 'die Sprache, in der das Genom mit der Umwelt kommuniziert', formulierte einst der Stammzellforscher Rudolf Jaenisch vom Whitehead Institute in Boston.
Die neue Studie zeigt nun, dass dieses Gespräch bei manchen Menschen besonders nachhaltig wirkt. Nur bei ihnen hat das frühe Trauma zur Folge, dass sie zeitlebens ungewöhnlich massiv auf Belastungen reagieren. Die Reaktion an sich kennen Forscher aus Tierversuchen schon länger. Moshe Szyfs Kollege Michael Meaney entdeckte bei Ratten, die von ihren Müttern nicht ausreichend umsorgt worden waren, eine epigenetische Veränderungen in bestimmten Gehirnzellen. Dadurch hatten die Tiere später Probleme, einmal ausgelöste Stressreaktionen zügig wieder abzuschalten. Szyf selbst lieferte Hinweise, dass diese Resultate auf den Menschen übertragbar sind.
Bei Mäusen, die früh traumatisiert wur-den, fand man wiederum, dass sie im Al-ter wegen eines speziellen Epigenoms in manchen Hirnzellen besonders große Mengen des Stress fördernden Botenstoffes Vasopressin bilden. Als Folge zeigten sie besonders häufig ein depressionsähnliches Verhalten. Es gibt also viele Wege, wie starke Belastungen das spätere Auftreten von Stresskrankheiten begünstigen. Evolutionsbiologisch ergeben sie alle Sinn, da eine übersteigerte Stressreaktion - etwa höhere Erregbarkeit und Aggressivität - in gefährlichen Zeiten nützlich sein kann.
Die Münchener Studie weist die Effekte nicht nur direkt in menschlichen Zellen nach, sondern beleuchtet auch eine ganz neue Ebene des Gesprächs zwischen Erbe und Umwelt: Beide Pole bestimmen gemeinsam, wie bereitwillig sie sich auf eine Interaktion überhaupt einlassen wollen. 'Menschen mit der Risiko-Genvariante reagieren schon als Kind auf ein Trauma mit einer verstärkten Bildung von FKBP5', sagt Torsten Klengel. Dadurch werde die natürliche Stressreaktion weiter verstärkt, worauf die Zellen wiederum den epigenetischen Schalter umlegten. Von diesem Moment an sei die übersteigerte Stressreaktion fest gespeichert.
Florian Holsboer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, hält die neuen Erkenntnisse für besonders wichtig für die Therapie der Posttraumatischen Belastungsstörung. Man könne vielleicht schon bald bei gesunden, gefährdeten Menschen messen, ob sie besonders anfällig auf künftige Traumatisierungen reagieren würden. 'Erlebt jemand aus einer solchen Hochrisikogruppe irgendwann ein fürchterliches Ereignis, könnten wir vielleicht eine Art "Pille danach" verabreichen.'
Dieses Medikament muss allerdings erst erfunden werden. Doch auch hier ist Holsboer zuversichtlich: 'Es wird sich sehr wahrscheinlich um ein Mittel handeln, das die Epigenetik der Hirnzellen verändert.' Vergleichbare Medikamente würden derzeit im Einsatz gegen Krebs bereits an Menschen zahlreich getestet werden. Und die größten Hürden für ein potenzielles, epigenetisches Psychopharmakon seien genommen, da Wirkmechanismus und Zielstruktur bei ihm die gleichen seien. Die neuen Resultate dürften die Traumatherapie aber schon früher verändern. Eine Gruppe um Felix Hausch forscht an Holsboers Institut an einem Mittel, das die Wirkung von FKBP5 pharmakologisch dämpft. Und gemeinsam mit Christine Heim von der Berliner Charité will Binder bei traumatisierten Kindern erkunden, ob eine möglichst frühe Therapie besonders effektiv ist.
Möglicherweise stellt sich dabei heraus, dass auch die Träger der Risiko-Genvariante manchmal Glück im Unglück haben. Die Eigenschaft, die sie so sensibel auf ein frühes Trauma reagieren lässt, scheint es ihrem Erbgut nämlich insgesamt zu erlauben, sich besonders gut mit der Umwelt zu unterhalten. Dieser Umstand lässt sich wahrscheinlich auch für positive Zwecke nutzen. Einflüsse wie Geborgenheit und Entspannung machen einen solchen Menschen womöglich ganz besonders stark.