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Andere Schilderungen (Mein Heimerlebnis)

Pitterchen @, Köln, Montag, 06.02.2012, 16:35 (vor 4708 Tagen) @

Ihr Lieben,

wenn ich diesen Thread lese, beschleicht mich ein komisches Gefühl.

Die Ebene, auf der ihr derzeit miteinander kommuniziert, wird so nicht funktionieren. Augenblicklich findet hier ein Säbelrasseln statt und es wird keinen Sieger geben.

Die Fronten sind verhärtet und jeder behaart auf seiner Sichtweise.
Sorry, aber das bringt nichts.

Jede Medaille hat zwei Seiten. Eine die du siehst, eine die ich sehe und eine, die wir beide nicht sehen.

Wir alle haben viel gutes, aber auch viel Schlimmes in unserem Leben erlebt.

Andere aber auch.

Da stellt sich schon die Frage, ob es besser gewesen wäre, wenn wir in unserer Familie aufgewachsen statt im Heim.

In einer Familie wie meiner, in welcher der Vater säuft und die Mutter verprügelt, sie dann mit 11 Kindern sitzen lässt und sich aus dem Staub macht, natürlich ohne irgendeinen Unterhalt zu zahlen.
Ich für meinen Teil habe in meinen 16 Jahren Heimaufenthalt gelernt, das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen und die Dinge so zu sehen, wie sie nun Mal sind.
Sonntagsmorgen in die Kirche gehen zu müssen zählte weder seinerzeit noch heute, zu meinen auserwählten Hobbys. Eine sehr gute Alternative war dann das Messdienern. Den Kirchgang konnte ich nicht wirklich verhindern, aber das für mich Beste draus machen schon.
So gab es viele Dinge in meinem Heimleben, denen ich immer versucht habe, das angenehme zu entlocken. Irgendwie hab ich mich auch durchgemogelt und bin nicht an den Vorgaben zerbrochen.
Lieber Rasenmähen als Toilettenputzen, besser im Wald arbeiten als in der Küche helfen usw. Ihr alle wisst, was ich meine.

Die Gruppendynamik brachte es mit sich, dass es immer Verlierer und Sieger, Unterdrückte und Triumphierende, Introvertierte und Exaltierte und Indianer und Häuptlinge gab. Das Wesen des einzelnen, das Temperament und sein Tatendrang machten da sehr schnell den Unterschied zwischen Sieger und Verlierer.
Auch war immer sehr schnell klar, dass der zweite bereits der erste Verlierer war.
Schaut Euch bitte alle die an, die wohlbehütet in einem tollen Elternhaus aufgewachsen sind. Verhätschelt und getätschelt.
Einzelkinder, deren Vater Rechtsanwalt oder Arzt war (ist) und die niemals gelernt haben, sich wirklich durchzubeißen. Kinder, die immer auf der Sonnenseite gestanden haben und die bereits in jungen Jahren ein Pony oder Pferd besaßen.
Die mit 18 nicht nur den Führerschein, sondern auch schon ein Auto vor der Tür stehen hatten, natürlich ein Neues. Kinder, die von ihren Eltern weniger gefordert und mehr gefördert wurden, denen immer alles einfach so zugeflogen ist.
Da lob ich mir jeden einzelnen von uns, die wir nicht diese goldene Kindheit und Jugend hatten.
Viele von uns sind auf der Strecke geblieben, aber viele von uns, denen man immer prophezeit hat, dass aus ihnen nichts wird, haben sich selbst und den anderen bewiesen, dass sie, die anderen, unrecht haben.

Auch mit Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man ein Haus bauen.

Jeder von uns ist etwas ganz besonderes.

Denn wir sind mit der höchsten Sensibilität ausgestattet, die man sich überhaupt nur denken kann. Wo andere glauben, etwas gehört zu haben, sind wir bereits bestens informiert. Wo andere nicht zuhören, haben wir bereits zwischen den Zeilen gelesen und unser eigenes Bild gemacht.

Jemand begrüßt uns und gibt uns seine Hand. Dieser jemand schaut uns dabei in die Augen oder auch nicht.
Mehr bedarf es nicht, denn wir haben ihn bereits durchschaut und ab sofort kann er sich Mühe geben, wie er will, er kann keinen Blumentopf mehr gewinnen.
Diese Gabe des Hinhörens, des Zuhörens, des zwischen den Zeilen lesen macht uns einzigartig.
Wir müssen nur stetig am Ball bleiben und uns selbst kontrollieren.
Aufpassen müssen wir allerdings, dass wir uns von den anderen nicht auf ihr Niveau herunter ziehen lassen, denn wir sind ihnen suspekt und sie wissen nicht mit uns umzugehen.
Daher halten uns viele von ihnen für arrogant und überheblich.

Ist Euch das auch schon aufgefallen?

--
Mit einer Kindheit voll Liebe kann man es ein ganzes Leben lang aushalten.


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