Avatar

Buchvorstellung - Ich habe aus Mitleid gehandelt (Biografien / Personen)

Klaus Grube ⌂ @, Hellenthal, Freitag, 26.03.2010, 13:41 (vor 5170 Tagen)
bearbeitet von Klaus Grube, Samstag, 27.03.2010, 19:23

Ich habe aus Mitleid gehandelt

ISBN 978-3-940938-71-8
220 Seiten
Preis: 19,– Euro
Metropolis Verlag Berlin
ab Mai 2010 erhältlich

Friedrich Tillmann war während der NS-Zeit in Köln Waisenhausdirektor, in Berlin Büroleiter der geheimen „Euthanasie“-Aktion, nach 1945 Leiter von Lehrlingsheimen. 1964 fand der wegen Beihilfe zum Krankenmord Angeklagte durch den Sturz aus einem Kölner Hochhaus den Tod.

Der christlich geprägte Nationalsozialist Friedrich Tillmann, der in Köln als Waisenhausdirektor jüdische Kinder schützte, wirkte 1940/41 in Berlin als Büroleiter bei der geheimen „Euthanasie“-Aktion mit. Nach Ende des „Dritten Reichs“ arbeitete er unbehelligt als Leiter verschiedener Lehrlingsheime in Opladen, Wolfsburg und Castrop-Rauxel. Erst die Enthüllung seiner Berliner Tätigkeit traf die Öffentlichkeit 1960 „wie ein Blitz aus heiterstem Himmel“ (Westf. Rundschau). 1964 fand der wegen Beihilfe zum Krankenmord Angeklagte kurz vor Prozeßbeginn durch den Sturz aus einem Kölner Hochhaus den Tod.

Klaus Schmidt, *1935, Theologe und Historiker, schrieb politische Sachbücher und Biografien, u.a. über den 1848er Armenarzt Andreas Gottschalk und den Arzt Franz Vonessen, der Mitarbeit bei NS-Zwangssterilisationen verweigerte.

[image]

Presse-Vorstellung: Dienstag,18. Mai 11 Uhr im NS-Dokumentations-Zentrum
durch Dr. Werner Jung und durch Friedrich Veitl, den Verlagsleiter des Berliner Metropol Verlags.

Lesung: Donnerstag, 20. Mai 20 Uhr im NS-Dokumentations-Zentrum

Inhalt (Inhaltsverzeichnis stand vor Drucklegung noch nicht endgültig fest!)

Einleitung………………………………………..……………………………………………2

I. Vom Jugendführer zum Waisenhausdirektor 4
Werdegang in (Köln-)Mülheim....................………………………………………………….4
Völkische und Bündische Jugendarbeit………………………………………………………..5
Der Vormarsch der NSDAP und die „Machtergreifung“…………………………..………….8
Zwischen Kirche und Partei – Tillmanns Engagement für die Waisen………………………11

II. Vorstufen der „Euthanasie“
„Lebensunwertes Leben“…………………………………………………………………… 15
Propagandisten der „Eugenik“………………………………………………………………..17
Die Zwangssterilisation der „Ballastexistenzen“…………………………………………….18

III. Der geheime Auftrag 20
Büroleiter der „Aktion T4“….....……………………………………………………………. 20
Religiöse „Gnadentod“-Ideologen……………………………………………………………24
Der Wirkungskreis des Schreibtischtäters…...……………………………………………….26
Das Schweigen der Reichsjuristen……………………………………………………………32
Proteste gegen die „Euthanasie“-Aktion..………………………………...………………….33

IV. Letzte Kriegsjahre 38
Schutz und Evakuierung der Kinder…...……………………………………………………..38
Zuflucht im Kloster Steinfeld..…………………………………….…………………………40
Kriegdienst und Geheimauftäge……………………………………………………………...43

V. Zwischen Entnazifizierung und Strafverfolgung 44
Entnazifizierung in Köln……………………………………………………………………...44
Solidarische Sorge……………………………………………………………………………45
Entlastungszeugnisse…………………………………………………………………………46
Urteile in Ärzteprozessen………………………………….….………………...……………49
Die Schatten der Vergangenheit...……………………………………………………………52
Das zähe Ringen um die Entnazifizierung………… …………..…………………………...57

VI. Eine neue Existenz 60
Zwischenstation Opladen…………………..…………………………………………………60
Wolfsburg…………………………………...………………………………………………...63
„Schlußstrich“-Profiteure…………………………...…………………………………….......64
Im Fadenkreuz der Ermittler...….……..…………....………………………………………...68

VII. Die Anklage 75
Die Verhaftung……...………………………………………………………………………..75
Das Ringen um Haftverschonung….…………………………………………………………80
Die Mord-Anklage……………...…………………………………………………………….83
Das Ende……………………………………………………………………………………...86

Die Schonung der Täter und die Missachtung der Opfer…...………………………………..88 Gedenken……………………………………………………………………………..............93

Literatur……………………………………………………………………………………..100
Personenregister...…………………………………………………………………………..106
Ortsregister………………………………………………………………………………….107
Abkürzungen……………………………………………………………………………….109


Einleitung (Text gekürzt)

Friedrich Tillmann, Handwerkersohn aus (Köln-)Mülheim, christlich motiviert und sozial engagiert, war bis zum Ende des „Dritten Reichs“ anfänglich begeistertes, später unbequemes Mitglied der NSDAP und Waisenhausdirektor in Köln. Bis in die Nazizeit hinein pflegte der von Bündischer Jugendarbeit Geprägte internationale Kontakte. Er bewahrte jüdische Waisenkinder und einen „Negermischling“ vor dem Zugriff des NS-Regimes und wehrte sich erfolgreich gegen die Entlassung der Nonnen und die Entfernung von Kruzifixen aus dem Waisenhaus in Köln-Sülz. In den 1950er Jahren wurde er Leiter eines Berglehrlingsheims in Castrop-Rauxel und Mitglied einer katholischen Pfarrgemeinde, deren Kirchbau er förderte.
Zugleich unterstützte dieser fürsorgliche Waisenhausdirektor 1940 und 1941 als nebenamtlicher Büroleiter einer Berliner „Euthanasie“-Zentrale NS-Ärzte, die Geisteskranken „den Gnadentod gewährten“. Eine geheime Staatsaktion. Mehr als 70 000 Patienten und Patientinnen psychiatrischer Anstalten fielen zwischen 1940 und 1941 der ersten zentral organisierten Massenvernichtungsaktion im Nationalsozialismus zum Opfer. Nach Protesten aus der Bevölkerung wurde die Aktion zwar offiziell im Sommer 1941 beendet, aber danach dezentral im Osten weitergeführt. In deutschen Anstalten und Kliniken mordete man ohne Gas insgeheim weiter. Nach Schätzungen wurden bis Kriegsende mehr als 200 000 Patientinnen und Patienten durch Gas, Medikamente, Nahrungsentzug oder Injektionen getötet.
Danach wurden in den Nürnberger Prozessen einzelne Haupttäter verurteilt, viele andere tauchten unter. Erst als 1959 ein Hauptverantwortlicher, der „Obergutachter“ Professor Dr. Werner Heyde alias Sawade entlarvt wurde, kamen erneut Prozesse in Gang.
Auch Friedrich Tillmanns Vergangenheit wurde nun aufgedeckt. Die Nachricht seiner Verhaftung im Juli 1960 schlug wie eine „Bombe“ ein, kam „wie ein Blitz aus heiterstem Himmel“. „Es ist ein und derselbe Friedrich Tillmann“, so die Westfälische Rundschau, „dieser anerkannt qualifizierte Fachmann auf dem Gebiet der Fürsorgearbeit, dieser Leiter der Gruppe ‚Heimerzieher’ in der Aktionsgemeinschaft Jugendschutz, dieses Mitglied des Kirchenvorstandes von St. Barbara.“ Im Februar 1964, sechs Tage vor Prozesseröffnung, stürzte er aus dem achten Stock eines Kölner Bürohauses, einen Tag später nahm sich Werner Heyde im Gefängnis das Leben.
Wie konnte ein sozial engagierter und christlich geprägter Mensch wie Friedrich Tillmann diesen Weg gehen? Von der städtischen Fürsorge für Waisenkinder zur wenn auch nur kurzzeitigen Mithilfe bei NS-Krankentötungen – und wieder zurück in soziale Arbeit? Eine Analyse seiner Worte und Taten im Kontext der Zeit, in der er lebte, kann helfen, Antwort auf diese Frage zu finden.
Längst vor dem „Dritten Reich“ wurde über „lebenswertes“ und „lebensunwertes Leben“, über Sterbehilfe und „Gnadentod“ heiß diskutiert. Auch nach 1945 sprachen sich viele Menschen noch für „Euthanasie“ aus. Zehn Jahre nach Tillmanns und Heydes Tod führte das Allensbacher Institut eine repräsentative Umfrage durch. Die Frage lautete: „Es gibt ja immer wieder Menschen mit schweren geistigen Schäden, die praktisch dazu verurteilt sind, das ganze Leben hinzudämmern. Deshalb hört man ja manchmal, es wäre das Beste, solchen Kranken ein Medikament zu geben, damit sie nicht mehr aufwachen. Wären Sie dafür oder dagegen, daß Ärzte in einem solchen Fall das Leben der Kranken beenden können?“ 38 Prozent der Befragten waren dafür. Bis in die Gegenwart führen ähnliche Umfragen sogar zu noch höheren Prozentzahlen.
Grenzen werden respektiert oder missbraucht. Die Frage nach der Grenze des Erlaubten ist uralt und bleibt hochaktuell. Eine Krankenschwester setzt einem ahnungslosen alten Patienten eine tödliche Spritze. Die Öffentlichkeit reagiert entsetzt, denkt an Euthanasie.
Vorschnelle Vergleiche sind unangebracht, doch Erinnerungsarbeit kann die Bereitschaft und die Fähigkeit verbessern, in Grenzsituationen verantwortungsvoller zu handeln.
Im Brennpunkt solchen Gedenkens gebührt den Opfern die größte Aufmerksamkeit, danach auch den Tätern. Die Zwangssterilisierten und nachfolgend die getöteten angeblich oder wirklich unheilbar Geisteskranken gehören neben homosexuell lebenden Menschen, Kommunisten und Sinti und Roma zu einer fast vergessenen Opfergruppe aus der NS-Zeit. Doch auch die für die meisten Zeitgenossen unangenehme Erinnerung an die Täter ist unverzichtbar. Sie fielen in einer vom mörderischen Wahn gezeichneten Zeit aus ihrem „normalen“ Leben heraus und fielen zugleich ihrer Begeisterung über die Erfolge des „Führers“ und seiner Gefolgsleute anheim, die Widerstandskraft gegen die Unmenschlichkeit des totalitären Systems kaum aufkommen ließ. Mediales Interesse konzentriert sich nach wie vor auf Hauptkriegsverbrecher – allen voran den „Führer“. Die für die „Euthanasie“ von Geisteskranken im eigenen Land Verantwortlichen und die einst gegen sie angestrengten Prozesse sind fast nur noch Fachleuten bekannt –und von den Opfern spricht fast niemand mehr. Nicht zuletzt ihnen soll mit diesem Buch die Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Hinweis: Alle Abbildungen und Texte unterliegen dem Metropolisverlag Berlin und dem Autor

--
Es gibt immer einen Weg zu uns allen - wir müssen es nur wollen
Mit lieben Grüßen euer Klaus
Internet: http://www.kinderheim-Koeln-suelz.de
Verantwortlich und Kontakt: https://kinderheim-koeln-suelz.de/?page_id=28


gesamter Thread:

 RSS-Feed dieser Diskussion

powered by my little forum