„Den anderen das Jüngste Gericht“

Neben dem Turm der Kirche „Zur heiligen Familie“ am Sülzgürtel reißen Bagger letzte Überbleibsel des früheren Kinderheims ab. Der Förderverein will an die wechselvolle Geschichte des ehemaligen Kinderheims in Sülz erinnern. Von Martina Windrath

Der Kirchturm der „Heiligen Familie“ ist stehen geblieben: Kathy Ziegler und Harald Weiß möchten auf dem Gelände des ehemaligen Kinderheims in Sülz weitere Erinnerungsorte schaffen. (Foto: Meisenberg)
Der Kirchturm der „Heiligen Familie“ ist stehen geblieben: Kathy Ziegler und Harald Weiß möchten auf dem Gelände des ehemaligen Kinderheims in Sülz weitere Erinnerungsorte schaffen. (Foto: Meisenberg)

Köln. Neben dem Turm der Kirche „Zur heiligen Familie“ am Sülzgürtel reißen Bagger letzte Überbleibsel des früheren Kinderheims ab. In Richtung Beethovenpark stehen bereits Neubauten, wo früher das Heim hinter hermetisch abgeriegelten Mauern lag, entstehen Gärten und offene Wege. Nur der Kirchturm und das „Haus Elisabeth“ bleiben erhalten. Abgerissen wurde auch die Wand mit einem Text, den ein ehemaliger Bewohner aufgesprayt hatte:

„1914 – 2009. Segen und Fluch.

Meinen Dank den Aufrichtigen,

den Schützenden und den Liebenden!

Den anderen das Jüngste Gericht und die

Gnade der Gedemütigten und Zerbrochenen.

Für uns selbst Mut und Frieden.“

 

Vielleicht werden diese Zeilen in Zukunft wieder an einer Stelle auf dem Gelände an die wechselvolle Geschichte erinnern und den ehemaligen Bewohnern Respekt erweisen. Vielleicht werden Fundstücke wie ein Baby-Gitterbett oder die Stadtmusikanten-Skulptur auf einem Erinnerungspfad durchs Neubauareal zu betrachten sein. Kathy Ziegler und Harald Weiß vom „Förderverein Erinnerungsorte Kinderheim Köln-Sülz“ sind Neubewohner und stellten der Rundschau die Initiative vor. Das Projekt wurde von neuen Bewohnern des Quartiers und Ehemaligen initiiert.

„Vorstellen könnte man sich zum Beispiel eine solche Route vom Sülzgürtel bis zum Park“, meint Ziegler. „Wie es genau aussehen könnte, ist noch offen. Aber wir finden wichtig, dass hier ein Stück Stadtgeschichte sichtbar gemacht wird“, so Weiß. Dabei helfen Studierende: Mit der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter sowie der Bildenden Künste Saarland werden Konzepte entwickelt. In zwei Workshops arbeiten Gruppen im Mai vor Ort. Die Arbeiten werden am 20. Juni in der Kirche ausgestellt.

22 500 Jungen und Mädchen

„Die Geschichte des Kinderheims wird von Ehemaligen sehr unterschiedlich wahrgenommen“, weiß Ziegler, die eines der im Bauherren-Modell errichteten Objekte bewohnt. Architekt Weiß wirkte selbst am Bau mit. Einige Ehemalige haben mit dem Areal gebrochen und sehr schlechte Erinnerungen, andere gute Erfahrungen gemacht. Die Errichtung des Kinderheims war 1912 vom Kölner Rat beschlossen worden, insgesamt haben 22 500 Jungen und Mädchen von 1917 bis 2012 in der Sülzer Einrichtung gelebt. Zu Beginn betreuten Schwestern vom Armen Kinde Jesu die Kinder, „Drill und übertriebener Gehorsam waren die pädagogischen Konzepte“, heißt es in der Projektbroschüre.

1972 leitete der damalige Direktor Rolando da Costa Gomez einen Wandel ein, ein Züchtigungsverbot und kindgerechte Konzepte mit Familienanbindung folgten, 1973 verließen die letzten Nonnen das Kinderheim. Der Aufbau der dezentralen Kinder- und Jugendpädagogischen Einrichtungen „Kids“ beendete endgültig die Heim-Ära. 2006 beschloss der Rat, das Gelände an Baugruppen und Bauträger zu verkaufen. Nun werden dort über 300 Wohnungen entstehen, mit dem Kirchturm von Architekt Gottfried Böhm als erstem Erinnerungsort.

Wer das Vorhaben unterstützen möchte, kann sich an Architekt Harald Weiß, Telefon 0221 –  421 584, Mail

Kölnische Rundschau vom 25.04.2015

One Reply to “„Den anderen das Jüngste Gericht“”

  1. nun, dann werden sich ja wohl einige ehemalige am 20. juni wieder in der kirche treffen?!
    ich freu mich drauf bekannte gesichter zu sehen.

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